Jenseits der Vorstellungen von Richtig und Falsch
„Jenseits der Vorstellungen von Richtig und Falsch liegt ein Ort. Dort werde ich dich treffen.“ Als der persische Mystiker Rumi diesen Satz vor rund 750 Jahren aufschrieb, hatte er sicher nicht die gymnasiale Oberstufe im Blick. Dennoch hat er damit einen Satz geprägt, der zum Motto des modernen Philosophie-Unterrichts, vielleicht sogar des Philosophierens insgesamt taugt.
Diese Begegnung ohne simplifizierendes Schwarz-Weiß-Denken ist der Kern des Projekts „Philosophische Einzelgespräche“ mit Schülerinnen der Q12. Ziel der „Philosophischen Einzelgespräche“ war es, aus dem Ethikunterricht bekannte philosophische Inhalte konkret nutzbar zu machen. Denn: Das analytische Denken entlang philosophischer Leitplanken kann ein Fundament sein – ein Fundament zur Bewältigung von Krisen, zur Sinnstiftung, zur Orientierung im Sinne eines glücklichen Lebens.
Philosophie ist damit weit mehr als nur Theorie. Indem ich ihre Anwendbarkeit auf mich selbst diskutiere, nutze ich sie als Leitfaden für mein Tun, als Brücke von der Freiheit des Denkens hin zur Freiheit des Handelns.
Woraus bestanden die „Philosophischen Einzelgespräche“? – Zunächst einmal: aus ganz viel Lust darauf! Interessierte Schülerinnen des Ethikkurses schlugen im Vorfeld selbst ein philosophisches Thema vor, zu dem sie mit ihrer Lehrkraft Frau Roth in den Diskurs einsteigen wollten. Die Agenda der monatlich stattfindenden Gespräche war klar geregelt:
Psychologische oder therapeutische Inhalte blieben außen vor; es ging allein um das Ordnen, Strukturieren und Deuten konkreter lebensweltlicher Sachverhalte mit Hilfe der Philosophie. Klar war auch der Ort, an dem man sich traf: zwar mal im Schulgebäude, im Park oder im Café – letztlich aber stets „jenseits der Vorstellungen von Richtig und Falsch“.
Auf diese Weise wurden die „Philosophischen Einzelgespräche“ zu einem Projekt der Freude. Weil sich immer wieder ein Grundsatz bestätigte, der jedem neugierigen Menschen zum Vergnügen gereicht – dass Wissen und Erkenntnis zu den wenigen Ressourcen im Leben gehören, die sich verdoppeln, wenn man sie teilt.
Carmen Roth, Ethiklehrerin